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Die Verantwortung der Zukunft:
Vermögenskultur von Prof. Dr. Thomas Druyen

Der Begriff der Vermögenskultur ist von dem Soziologen Prof. Dr. Thomas Druyen entwickelt worden und benennt in seiner grundlegenden Intention die Forschung und Lehre von individuellen und gesellschaftlichen Grundwerten. Sowohl am Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als auch am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Freien Universität Berlin macht Druyen Seminare zu diesem Thema. Da die Vermögenskultur von ihm aber grundsätzlich auch als eine gesamtgesellschaftliche Wertperspektive begriffen wird, entwickelt er diese Dimension für ganz unterschiedliche Lebensbereiche. So gibt es Vermögenskultur in der Generationenforschung als Grundwerte der verschiedenen Altersklassen oder als „Corporate Identity“ für Unternehmen und Organisationen.
Diese Seite bietet eine erste Orientierung, um sich mit den unterschiedlichen Facetten der Vermögenskultur zu beschäftigen und gibt Raum für diesbezügliche Aufsätze und Überlegungen.

Wenn sich ein erfolgreicher Mensch in einer existentiellen Krise befindet, gerät seine Orientierung ins Wanken. Er sucht händeringend nach Lösungen, lässt sich beraten oder wagt sogar eine Psychotherapie. Je mehr er seine Hoffnung auf externe Hilfe verlagert, desto schwächer wird seine Fähigkeit Entscheidungen zu treffen. Und irgendwann, wenn es ihm nicht gelingt sich zu pragmatischen Handlungen durchzuringen, dreht er sich nur noch im Kreis. In diesem Blindflug verengt sich die Wahrnehmung, die dann an Don Quixotsche Windmühlen erinnert. Aus Aktivitäten werden Überlegungen, aus Entscheidungen werden Diskussionen, aus Erwartungen werden Träume, aus kritischen Resonanzen werden Selbstvorwürfe, aus Leben wird Theorie. Erst wenn er unsanft auf den Boden der Tatsachen knallt, kehrt er aus dem Reich des Möglichen heim in die Realität alltäglicher Machbarkeit. Es bleibt im Einzelfall zu hoffen, dass diese Zeit der anspruchsvollen Ratlosigkeit, seine Lebensgrundlagen nicht bereits aufgefressen haben.

Wenn nun ein ganzes Land und seine federführenden Protagonisten in eine existentielle Krise geraten sind, ist die Dramatik ungleich höher. Ein ganzes Volk schaut gebannt auf die hohen Fenster der Entscheider und sehnt sich nach dem weißen Rauch einer Lösung. Aber die eben genannten Stadien individueller Verwirrung können ebenso gut Regierungen, Parteien, Unternehmen und Organisationen befallen. Hier gibt es nur den fundamentalen Unterschied, dass Fehler und Versagen der entscheidungsbefugten Klientel, zu millionenfacher Demotivation und Lebensbeeinträchtigung führen. Einige Stichworte mögen genügen, um den Zustand der Apathie und Zerrissenheit zu belegen: Hartz IV, Politikverdrossenheit, Arbeitslosigkeit, Generationenkonflikt, Mittelstandskrise, Arm und Reich-Schere, Ausländerintegration, Bevölkerungsentwicklung. Unter handwerklichen Gesichtspunkten können wir von Baustellen sprechen, die bereits exakt verortet und benannt worden sind, aber über argumentierende Endlosschleifen interessengeleiteter Vorteilssuche nicht hinaus kommen. Früher sagten wir, wo ein Wille ist, gibt es auch einen Weg. Heute müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der Wille meistens der Umsetzung eigener Zwecke dient, und der Weg sich zu einem Drahtseil verdünnt hat, auf dem sich nur wenige Begünstigte halten können.

Es geht hier keineswegs um Schuldzuweisungen, sondern um die Suche nach einem Weg aus dem Stillstand, aus der Orientierungslosigkeit, aus dem Reformstau. Eine der entscheidenden Ursachen dieser latenten Umsetzungslähmung scheint mir in einer hypothesengeleiteten Wahrnehmung wie es in der Psychologie heißt, zu liegen. Wer über ein negatives Weltbild verfügt, richtet seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf negative Indikatoren und selektiert dementsprechend alle weiteren Informationen. Positive Hinweise werden ignoriert, um einen Entscheidungskonflikt zu vermeiden. Man bohrt sich sozusagen immer tiefer in die Krise. In Zeiten der „New Economy“ konnten wir das glatte Gegenteil beobachten. Dass die jetzige Depression in einem ursächlichen Zusammenhang mit der vorangegangenen Rauschphase steht, kann angenommen werden. Aber das hilft uns nicht wesentlich weiter bei der Frage, warum scheinbar kein Weg aus der Krise führt und die Inflation theoretischer Lösungsvorschläge das allgemeine Misstrauen nur erhöht. Die eigentliche Verhinderung von Vertrauen und Motivation resultiert aus dem Verlust kultureller Ziele und dem Mangel an Vorbildern.

Ohne eine kulturelle Sinnorientierung, wie man sich als Land oder Unternehmung den bereits bekannten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen will, kann man nicht zu konkreten Plänen in einem Meer von Möglichkeiten kommen. Ohne charakterliche Festigkeit und dem bewussten Willen über eigene Interessen hinaus zum Wohle eines Ganzen zu handeln, wird es keine motivierende Identitätsstiftung geben. Insofern zerstört zum Beispiel die Deutsche Bank zwischen unternehmerischem Erfolg und personeller Bestrafung das Zutrauen in ökonomische Entwicklungen; konterkarieren einige sich selbst bedienende Vorstände von Krankenkassen die Ergebnisse eingeleiteter Reformen; führen die Parteien ihren normativen Auftrag in plumpen selbstbezüglichen Inszenierungen ad absurdum. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass die komplizierten Strukturen und Prozesse des heutigen Lebens von kaum jemandem verstanden werden, geht es nicht nur um Reformen, sondern tatsächlich um Aufklärung und Sinnbildung.

Diese alle nicht neuen Einsichten haben mich schon vor einigen Jahren veranlasst, im Rahmen meines Forschungsgebietes der Kultursoziologie, nach einer veränderten Perspektive zu suchen, der es gelingt, die Negativität unserer Wahrnehmung zu überwinden. Eine grundlegend einfache Idee führte demnach zu konstruktiven Überlegungen. Über welche Ressourcen und Fähigkeiten verfügt ein Individuum, eine Familie, eine Generation, ein Unternehmen, eine Gesellschaft, um zur Gemeinschaftsentwicklung und Mehrwerterzeugung beitragen zu können. Also nicht eine Methode der Ausgrenzung wurde hier in den Mittelpunkt gestellt, sondern die der Integration. Bedeutsam wird diese geänderte Sichtweise zum Beispiel bei der aktuellen Frage nach den Auswirkungen des demografischen Wandels. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob wir die Verlängerung des Lebens als Belastung oder Chance begreifen wollen. Problem durchdrungen, drohen eine Abschreibung von Millionen älterer Menschen und ein unlösbarer Interessenkonflikt zwischen den Generationen. Also ohne die willentliche Anstrengung den gegenwärtigen Gegebenheiten mit einer pragmatischen Ziel- und Wertorientierung zu begegnen, verlieren wir uns im Nebel der Willkür. Ein dementsprechendes Programm muss die Erfahrungen, die Kompetenzen und den Reichtum der Bürger aufnehmen und zukunftsgestaltend nutzbar machen. Wir brauchen eine Vermögenskultur, die unsere Errungenschaften schützt und schätzt und mit Theodor Fontane gesprochen, das Alte liebt und das Neue lebt.

Diese Vermögenskultur ist nicht nur ein Bewusstsein und eine Überzeugung, dass Reichtum, Talent und Tradition Pflicht und Verantwortung hervorrufen, sondern vor allem eine wissenschaftliche Forschung und Lehre, die die wertbildenden Dimensionen von Vermögen analysiert und eine praktische Umsetzung dieser Ergebnisse anregt. Der hier zugrunde gelegte Vermögensbegriff versteht Vermögen als ökonomischen Reichtum, als Handlungskompetenz und –befähigung, als Humanvermögen und als nachhaltiger Umgang mit Ressourcen. Das Ziel dieser soziologischen Forschungs- und Entwicklungsarbeit ist die Identifikation und transparente Darstellung der verschiedenen Vermögensfelder wie z.B. Betriebsvermögen, Sozialvermögen, Naturvermögen, Privatvermögen, Denkvermögen, Altersvermögen sowie ihre produktive und handlungsleitende Anwendung.

Gerade im Hinblick auf die immer wieder diskutierte Generationengerechtigkeit spielt der Nachweis der unterschiedlichen Generationenvermögen eine herausragende Rolle. Nur mit einer orchestrierten Nutzung der spezifischen Lebenswerte der einzelnen Altersgruppen werden wir drohenden Verteilungskonflikten entgehen können. Ohne einen unverzichtbaren Transfer von Wissen, Geld und Verantwortung bleibt jeder Versuch der Identitätsstiftung im verbalen Karussell der Folgenlosigkeit stecken, sowie wir es schon seit Jahren erbost beobachten müssen. Wer die Älteren wirklich würdigen will, muss sie aktiv im Alltag beteiligen; wer wirklich konkurrenzfähige Universitäten haben will, muss jungen Wissenschaftlern Macht, Mittel und Möglichkeiten geben. Das Vermögen und die Vermögen sind die Früchte unserer Kultur, die wir zu ihrer Erhaltung immer wieder einsetzen sollten. In diesem Sinne wird meiner Meinung nach Vermögenseinsatz, Vermögenswahrung und Vermögensmehrung zum zentralen Focus intergenerativer Zukunftspraxis werden.

Die erste, langjährige Auseinandersetzung mit vermögenskulturellen Aspekten habe ich Ende 2003 mit der Publikation des Buches „Olymp des Lebens – ein neues Bild des Alters“ vorgelegt. Es ging mir um einen demonstrativen Versuch, die Chancen und Fähigkeiten des Alters in ein positives und produktives Licht zu rücken. In dieser Arbeit wurde bereits deutlich, dass der Dialog der Generationen nur in einem gemeinsamen Wertschöpfungsprozess Früchte tragen würde. Der zweite grundlegende Gegenstand vermögenskultureller Untersuchungen ist die gesamte Thematik des Reichtums, die sich überraschenderweise als wissenschaftlich wenig ergründet herausstellte. Ausgehend von dem paradoxen Sachverhalt, dass Geld und Ökonomie die meisten Lebensbereiche dominieren, das Phänomen und die Soziologie des Reichtums aber einer auffallenden Tabuisierung unterliegen, wird die Dimension der gesellschaftlichen Bedeutung und Nachhaltigkeit von Geist und Geld unter die Lupe genommen. Diese und andere Fragen werden unter dem Titel „Vermögenskultur“ von mir seit dem Wintersemester 2004 zum ersten Mal in einer eigenen Seminarreihe an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster bearbeitet.

Insgesamt handelt es sich bei der soziologischen Forschungsrichtung der Vermögenskultur, um einen interdisziplinären Wissenschaftszweig, der die Entwicklung und Nutzung materieller und immaterieller Potentiale einer Gesellschaft verstehen und beschreiben will, um den zahlreichen Kategorien von Vermögen eine kultur- und identitätsstiftende Bedeutung zuzuweisen. Die Umsetzung dieser Vermögenskultur wird zu einer entscheidenden Herausforderung für die Qualität des Miteinanders der Generationen. Die für unsere unmittelbare Zukunft wegweisende Konstellation einer zunehmenden Zahl älterer Menschen und einer Ausdünnung von jungen Leuten kann nur im ultimativen Bewusstsein gegenseitiger Abhängigkeiten bewältigt werden.

 

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